Buchmesse in Lomé

Donnerstag, 7. November

Es ist wieder so ein Tag an dem ich mich selbst frage: Was fange ich nur mit mir selbst an? Ich schaue auf Facebook und sehe, dass eine Foire des Livres, also ein Buchmesse, im Palais de Congrès stattfindet. Nichts wie hin.

Beim Palais de Congrès angekommen besichtige ich erst kurz die Bücherstände (recht überschaubar) und lasse mich dann in den letzten Winkel des ehemaligen Parlamentsgebäudes weisen, wo gerade ein Vortrag stattfindet. Der Redner ist Theo Ananissoh, der in Deutschland im Exil lebt und den ihr rechts auf dem Foto zu Beginn dieses Beitrags seht. Er spricht über den Zustand der Literatur in Afrika. In dem Teil von seinem Vortrag, den ich noch mitbekomme, reißt er interessante Themen an:

Welche Rolle spiel(t)en Bücher bei der Benennung von Orten? Der Journalist Hugo Zöller aus der Eiffel reiste 1884 durch die damalige deutsche Kolonie mit dem Auftrag, sie zu „erforschen“ und gab in seinen Texten z.B. dem Togosee seinen Namen, der noch heute – frankophonisiert – Lac du Togo heißt.

Welche Rolle spielen die Muttersprachen? Wer in Togo Bücher schreibt, schreibt meist auf Französisch. Weil es dann mehr Leute lesen, aber auch weil sich viele die meist nur gesprochenen Sprachen (in Togo u.a. Ewe und Kabiyé) nicht als Literatursprachen vorstellen können. Theo Ananissoh ruft zu einer Modernisierung der Muttersprachen auf, die aus seiner Sicht zu einem neuen kulturellen Selbstbewusstsein führen kann.

Welche Rolle spielen Verlage? Es gibt in Togo ein paar kleine Verlagshäuser – z.B. das mit dem schönen Namen „Les Editions Graines de Pensées“. Doch der Großteil der bekannten Autoren aus afrikanischen Ländern, wird anderswo verlegt. Die frankophonen Autoren oft in Frankreich. Damit liegen dann die Rechte für die Werke und die Vermarktung und die Gewinne, die eventuell daraus fließen, in französischer Hand. Theo Ananissoh vergleicht das mit der Währung in den ehemaligen französischen Kolonien in Westafrika. 50 Prozent der Währungsseserven des Franc CFA liegen nämlich in Paris, und dort wird auch entschieden, wann wie viel Geld gedruckt wird.

Mit dem Geld, das ich noch dabei habe, erstehe einen Gedichtband von Galley Kokouvi Dzifa, 1980 in Togo geboren. Wie ich dem Klappentext entnehme, schreibt er vor allem Theaterstücke und traditionelle Erzählungen, aber auch Lyrik. „bris de vie, bris de souffle“ heißt der Band, erschienen in der Reihe „Sans poésie pas de vie“ des Verlags „Editions Ponts de lianes“. Seine Gedichte sind inspiriert von japanischen Haikus und klingen z.B. so:

ma mère 1

la voix de ma mère

délice d‘un mange mûre

en ma memoire

nature 5

mon Papillon porte

le monde sur ses ailes

Mit dem Buch in der Tasche schlendere ich ein bisschen durch Lomé und komme schließlich da an, wo ich am Workshop „Literaturkritik“ teilnehmen will. Ray Ndebi ist ein Autor und Publizist aus Kamerun und teil mit uns sein Verständnis von Literaturkritik. Er unterscheidet zwischen drei Arten von Leser:innen: der normale Leser, bei dem der eigene Geschmack der Maßstab ist. Die professionelle Leserin, bei der Methode und wissenschaftliche Theorie der Bezugsrahmen der Kritik sind. Und dann der passionierte Leser, der darauf achtet, was ein Werk der Literatur gibt, wo es neues schafft, altem etwas entgegenstellt oder es ergänzt. Mein Französisch wurde schon lange nicht mehr so gefordert, wie an diesem Tag.

Der dritte Programmpunkt des Tages nimmt dann einen unfreiwillig komischen Lauf. Eigentlich sollte es eine Podiumsdiskussion geben: „Welche Rolle spielen Autoren bei der Entwicklung Afrikanischer Staaten?“ Ich freue mich sehr auf den Input, leider ein bisschen zu früh. Schon als ich in den Raum komme, bin ich überrascht. Ich hebe den Altersdurchschnitt enorm, die meisten Anwesenden sind sind Schüler:innen, zwischen 10 und 13 Jahre alt. Auch die Autoren auf dem Podium sind ziemlich überrascht über die Zusammensetzung ihres Publikums. Die Autoren Ayi Hillah (Togo), Boube Hama (Niger), Camille Segnigbinde (Benin), Severin Bouatini (Elfenbeinküste) und Ray Ndebi (Kamerun) bemühen sich zwar, auf die Schüler einzugehen, aber manchen fällt es sichtlich schwer von ihre Gedanken zur Rolle von Autoren bei der Entwicklung afrikanischer Staaten für Kinder verständlich zu machen.

„Man schreibt, damit sich irgendwo was verändert“

„Es wird oft wirtschaftliche Entwicklung betont, aber wichtig ist vor allem auch der menschliche Aspekt von Entwicklung, intellektuelles und spirituelles Wohlergehen“

Am Ende meldet sich ein Autor aus dem Publikum an die Kinder auf eine Art, die allen einzuleuchten scheint:

„Habt ihr schonmal einen Baum gesehen, der sich ohne seine Wurzeln entwickelt“ – Nein!

„Lernt ihr in der Schule eure Muttersprache? – Nein.

„Eure Kultur?“ – Nein.

„Woher ihr kommt?“ – Nein.

„Die Schule ist eine hervorragende Maschine zur Entwurzlung der Kinder!“

Nach der Veranstaltung treffe ich einen der Autoren, Severin Bouatini, am Bücherstand und er überredet mich, sein Kinderbuch zu kaufen – „Die Abenteuer von Affrah, der kleinen vegetarischen Katze“. Und ich gebe nach:

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Als wir es schließlich vorgestern Abend hier in der WG gelesen haben, haben wir uns sehr an der niedlichen Geschichte gefreut. Und bestellen gleich nochmal zwei zum Verschenken.

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